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Wieso es verdammt schwierig ist, nachhaltig zu leben.

Was heißt es, nachhaltig zu leben? Für mich persönlich? Und für mich als Outdoor-Menschen? Ich liebe die Natur, will sie nicht zerstören, sondern erhalten. Aber was darf ich dann noch draußen? Ein Gedankenprotokoll.

Sind wir mal ehrlich, am nachhaltigsten wäre mein Leben vermutlich, wenn ich den ganzen Tag daheim auf der Couch sitzen würde. Oder besser noch: auf einer Holzpritsche. Aber nicht vor dem Fernseher, denn da sind Metalle drin und die sind böse! Und ich darf kein Fleisch essen, denn das ist nicht nur schlecht für die Tiere, sondern auch fürs Klima. Außerdem bloß keine Baumwolle tragen, die braucht viel Wasser und das ausgerechnet in Gegenden, in denen es nur wenig gibt. Also am Besten gleich nackt bleiben. Auf meiner Pritsche.

Wie viel Verzicht ist nötig – und für mich möglich?

Gut, das mag jetzt übertrieben klingen, aber ist doch genau das, was einem oft mit erhobenem Zeigefinger gepredigt wird, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht: Verzicht. Könnte ich darauf verzichten, in die Berge zu gehen oder ans Meer zu fahren? Irgendwie ist das keine Option. Und um ehrlich zu sein, ist das nicht nur „irgendwie“ keine Option, sondern geht einfach gar nicht.

Versteht mich nicht falsch, ich möchte etwas tun! Ich will ein gutes Leben führen, eben nicht auf Kosten Anderer, der Tiere oder künftiger Generationen. Aber kann ich wirklich etwas ändern? Bin ich nicht nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen, Stickstoff spuckenden Dieselmotor? Und wie verhalte ich mich „richtig“?

Ich bin verdammt gern in der Natur unterwegs, das wird sich auch nicht ändern. Kann ich also nachhaltig sein und trotzdem meinen Hobbies nachgehen? Und muss ein nachhaltiges Leben immer mit – schmerzhaftem – Verzicht verbunden sein?

Meine Umweltsünden

Also gut, dann hole ich mal meine Umwelt-Leichen aus dem Keller. Wobei ich nicht mal in den Keller gehen muss, sondern nur vor die Tür. Da steht sie, meine Umweltsünde Nummer 1: ein Stickstoff spuckender Diesel. Baujahr 2009, gerade mal 4.8 Liter verbraucht er auf 100 Kilometer, wenn ich brav fahre. Neuerdings spüre ich aber trotzdem verächtliche Blicke, gar so als würde ich neben einem Veganer ein niedlich drein blickendes Kälbchen schlachten. Und zugegeben, die meiste Zeit steht mein Auto nicht vor der Tür, sondern bringt mich zum nächsten Abenteuer, in die Berge, manchmal sogar ans Meer. Zwar bin ich oft nicht allein, aber dennoch lege ich einige tausend Kilometer pro Jahr damit zurück. Das Auto aufgeben? Das wäre wie ein Stück Freiheit hergeben.

SURFEN

Es ist ja nicht so, dass ich nichts mache. Bevor ich eine Plastiktüte benutze, führe ich lieber einen komplizierten Balanceakt vom Supermarkt bis zu mir nach Hause auf. Fleisch und Fisch esse ich kaum mehr. Ich kaufe keine Erdbeeren im Januar, die schmecken sowieso nicht. Stattdessen ernähre ich mich regional und saisonal. Ich stehe also im Dezember an der Obst- und Gemüsetheke, könnte ebenso auf einem Markt in einem fernen, tropischen Land sein und versuche standhaft zu bleiben, obwohl da Mangos aus Mexiko locken, Avocados aus Chile, Süßkartoffeln aus Peru, Bananen aus Panama und Chili aus Thailand.

ESSEN

Nicht nur in der Obstabteilung, auch im Outdoorfachgeschäft – ständig werden wir bombardiert mit neuen, „leckeren“ Produkten. Manche Firmen inszenieren sie  auf fast schon religiöse Art und Weise, um uns in Versuchung zu führen. Nur wenige stellen wie Patagonia die Frage, ob der Konsument das neue Teil WIRKLICH braucht und rufen mit ihrer „Don’t buy this jacket!“-Kampagne überspitzt dazu auf, das vor dem Kauf doch nochmal zu überdenken.

Sind nachhaltige Produkte Augenwischerei?

Doch: Sind nicht selbst oder GERADE nachhaltige Produkte total scheinheilig? Kaufe ich damit mein schlechtes Gewissen „weg“ und einen grünes, ökologisches Image ein? Dann sehen meine Freunde schließlich, dass ich auf Nachhaltigkeit achte, wenn ich mit bestimmten Marken herumlaufe. Seht her, die Umwelt ist mir nicht egal, ich bin ein moralisch erhabener Gut-Konsument! Aber wie viel bin ich wirklich bereit, in ein nachhaltiges Konsumverhalten zu investieren? Wieviel Zeit? Und wie viel Geld? Und was brauche ich wirklich Ständig bin ich hin und her gerissen zwischen Dingen, die ich denke zu benötigen und dem was ich wirklich brauche, zwischen dem was ich gerne hätte und dem was moralisch gut ist, zwischen nachhaltig und dem was ich mir leisten kann…

Was ist das Wesentliche?

Halt, stopp – ich meine – was soll das hier? Mal kurz innehalten. Durchatmen. Besinnen auf das Wesentliche. Aber was ist das überhaupt? Glück? Erfüllung? Was macht mich denn im Leben glücklich? Und wann war es das letzte Mal da, dieses berauschende Glücksgefühl?

Wenn ich zurückdenke, fallen mir sicher keine Produkte oder Einkaufserlebnisse ein, sondern Momente und Erfahrungen draußen in der Natur. Die perfekte Powder Abfahrt nach einer besonders anstrengenden Skitour. Pasta vom Campingkocher nach einer langen Wanderung. Die ersten Sonnenstrahlen auf einem kalten Gipfel. Der Anblick perfekter Wellen bis zum Horizont. Und was benötige ich dafür, diese Momente zu erleben? Klar, eine warme Jacke ist nicht schlecht! Ein Schlafsack vielleicht auch, und noch ein paar Sachen mehr.

POWDER

Mein Zimmer sieht aus wie ein gut sortierter Outdoor Laden. Schaut man aber genauer hin, ist vieles nicht neu. Einiges stammt noch von den Abenteuern meines Vaters in den 90er Jahren. Da sind Flicken und Flecken, Schrammen und Dellen. Denn nicht für jedes Abenteuer muss neues Zeug her. Oft kann man sich etwas leihen, von Freunden oder dem Alpenverein. Klar ist die Versuchung groß. Eine schicke neue Jacke schaut schließlich immer toll aus auf Fotos, die neue Isomatte wäre viel leichter als meine und der Rucksack tausend mal praktischer. Und manchmal erliege ich der Versuchung. Aber dann habe ich mir vorher zumindest viele Gedanken darüber gemacht.

SCHUHE

Entweder Vorzeige-Öko oder Umweltsau?

Was steht also am Ende dieses Gedankenprotokolls? Gibt es eine Lösung? Ein gut oder schlecht? Absolut nachhaltig oder total verschwenderisch? Abhakbare Kriterien, nach denen man entweder ein Vorzeige-Öko oder eine Umweltsau ist?

Nein. Die Antwort liegt wie so oft irgendwo dazwischen, in einem Kompromiss, den jeder für sich selbst schließen muss. Vielleicht ist es manchmal Verzicht, aber vielleicht auch die Chance, Neues zu entdecken, egal ob es saisonale Küche ist, Abenteuer vor der eigenen Haustür oder mal das Splitboard statt den  Lift zu nehmen. Wichtig ist, dass man sich solche Gedanken überhaupt macht und es schafft, sich aufs Wesentliche zu besinnen. Auf einfache Dinge, auf das Glück, auf die Momente. Vielleicht kann das Inspiration für euch sein, sich ähnliche Fragen zu stellen. Sich das Klettersteigset für den nächsten Trip nur zu leihen und den Riss in der Jacke zu flicken, statt eine neue zu kaufen. Auch wenn es nur wenige, kleine Gesten sind, ist es doch ein Anfang. Denn aufgeben ohne es zu versuchen, wäre ja auch doof, oder?

SPLITBOARD

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